Persönlicher Nachruf auf
Dr. David Morris Schnarch, Ph.D.
18.9.1946 – 8.10.2020
David war einer der wichtigsten zeitgenössischen Therapeuten auf den Gebiet der Paar- und Sexualtherapie. Er starb überraschend am 8.10.2020 im Alter von 74 Jahren in seinem Zuhause in Evergreen, Colorado, USA im Kreise seiner Familie, wahrscheinlich an einem Herzinfarkt.
Ich traf David zum ersten Mal 2006 in Zürich bei einem Workshop im Institut für Ökologisch – Systemische Therapie, mit dessen Gründer Jürg Willi er befreundet war und war beeindruckt von seinem differenzierungsbasierten Ansatz und seiner Art zu arbeiten, die er in den Workshops immer wieder auch in Live – Demonstration von Therapiesitzungen mit Paaren zeigte.
In den letzten Jahren seines Schaffens entwickelte er seinen „Crucible Approach“ (Crucible = Feuerprobe, Schmelztiegel) weiter zur „Crucible Neurobiological Therapy“ und integrierte Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung und neue Werkzeuge, wie das Arbeiten mit Visualisierungen und Dialogen mit den Antagonisten, auch im Zusammenhang mit Trauma.
Er hatte eine besondere Gabe, eine hohe emotionale Intensität aufzubauen und die Menschen zu berühren, sowohl die Klient*innen, als auch uns Therapeut*innen. Dabei war er immer zutiefst ehrlich, wertschätzend und respektvoll in seiner Grundhaltung den Menschen gegenüber.
Diese innere Haltung wurde genährt von einer tiefen Überzeugung, das es in jedem Menschen eine beste Version des eigenen Selbsts gibt, die er ansprach und unterstützte, um diesem Anteil zu helfen aufzustehen und die Führung der Handlungen zu übernehmen.
Er hatte einen unglaublich scharfen Geist und Blick für die Zusammenhänge und konnte sehen, wie Menschen denken und funktionieren. Das nannte er „Mind mapping“. Er konnte ihnen helfen, sich selbst klarer darin zu sehen, dies zu reflektieren und ihnen die verschiedenen Schritte und Möglichkeiten für Veränderung aufzeigen. Dabei hatte er einen unglaublichen Überblick und konnte, fast wie ein Schachweltmeister, verschiedene Reaktionsmöglichkeiten der Klient*innen auf verschiedene Therapieschritte und deren weitere Folgen durchdenken und vorhersehen. Er blieb so unglaublich flexibel in seinen Interventionen und Reaktionen und gleichzeitig immer einen halben Schritt hinter den Klient*innen, um sie angemessen Schritt für Schritt zu begleiten. Seine Konfrontationen waren teils sehr hart, aber immer von Wohlwollen und Wertschätzung getragen und dem Glauben, daß es auch in Menschen, die ekelhafte, grausame und bösartige Dinge tun, ein Bestes gibt, welches aufstehen könnte.
Auch mit extrem manipulativen und kontrollierenden Klient*innen konnte er erfolgreich arbeiten. Manchmal tat er dies sportlich, humorvoll und spielerisch, manchmal streng und ernst, aber immer getragen von einer grundsätzlichen Zugewandtheit und wertschätzenden Verbindlichkeit, die er „kollaborative Allianz“ nannte. Manchmal war der größte Herzensdienst dabei, die dunkle, schonungslose Wahrheit zu spiegeln und Grenzen zu setzen.
Er hielt nichts von Abstinenz und Neutralität der Therapeuten, wie viele analytisch oder systematisch arbeitende Kolleg*innen. Er glaubte daran, daß es wichtig ist, als Therapeut*in einen eigenen, wertenden und einordnenden Blick auf die Dinge zu bewahren und entsprechend zu handeln, selbst wenn das nicht immer populär ist bei Klient*innen und Kolleg*innen.
Er scheute sich nicht, auch in dunkelste Abgründe mit den Klient*innen einzutauchen und viele emotionale Spannungen gemeinsam mit ihnen auszuhalten um ihnen zu helfen. Wenn jemand dann nach langen, intensiven Therapiesitzungen mit veränderten, gelösten Geschichtszügen herausging, freute er sich mit den Klient*innen und nannte diesen oft deutlich sichtbaren und nachhaltigen Effekt in den Gesichtern „brightening“.
Besonders liebeswert machten ihn sein wunderbarer Humor in allen Dingen, sein ansteckendes Lachen und seine beständige Zugewandtheit und Ansprechbarkeit.
David schrieb 5 Bücher, die in 6 Sprachen übersetzt wurden und gab zahlreichen Workshops und Weiterbildungsseminare. National und international erschienen zahlreiche Zeitungsartikel, er hatte Auftritte im Radio und Fernsehen und erhielt die höchsten professionellen Preise und Auszeichnungen der Berufsverbände seines Gebietes in den USA. Dieser Erfolg stieg ihm nie zu Kopf und er behielt die Füße auf dem Boden. Er verfolgte seine persönliche Vision, den Menschen helfen zu wollen. Durch sein Tun das Leid auch nur eines einzigen Kindes zu mindern, das dann bei persönlich gereifteren und friedvolleren Eltern aufwächst, gab ihm Sinn im Leben. Dafür arbeitete er wie besessen und war von schier unermüdlicher Energie, die erst in seinen letzten Jahren in etwas ruhigeren Bahnen floß. Wir haben ihn öfters geneckt, wenn seine Augen in der Mittagspause voller Elan glänzten, er leidenschaftlich weiterredete und darüber ganz vergaß, seinem Körper etwas Essen zu gönnen. Pausen brauchte er eigentlich nicht, aber er hatte gelernt, daß viele andere Menschen sie mögen.
Er liebte seine Familie, seine Frau Ruth, seine Tochter Sarah und seinen Bruder Steve und viele andere Menschen mit unglaublich großem Herzen. Er liebte die Natur, besonders die Berge, und „Outdoor activities“ wie Wandern, Zelten und Skifahren. Der Buddhismus inspirierte ihn sehr. Er war ein spiritueller Mensch genauso wie ein sehr pragmatischer und geerdeter.
Er war einer der Menschen und Lehrer, die mich in meinem Leben an meisten beeinflußt haben. Ich hatte die Ehre, nachdem ich ihn 2007 auf dem Wilhelm – Reich Kongress in Berlin angesprochen hatte, in den darauffolgenden Jahren bis zu seinem Tod 2020 seine Workshops in Norddeutschland als Organisatorin und Teilnehmerin begleiten zu dürfen und habe viel von ihm gelernt. Er hat mir die Augen geöffnet für einen klareren, nicht immer angenehmen Blick auf die Menschen. Er war ein wirklich Großer und wird in seiner Einzigartigkeit als Mensch und als Therapeut unerreicht bleiben. Ich vermisse ihn sehr.
Ruhe in Frieden, David. Du bist gegangen, aber Deine Vision lebt weiter.